Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Landmarkengestützte Injektionstechniken an der Wirbelsäule

In den „Departments of Anesthesiology“ dreier Universitätskliniken aus Thailand und dem „Department of Anaesthesia and Intensive Care“ in der „Chinese University of Hong Kong“ wurde im Rahmen einer weiteren Studie im Jahr 2017 die Genauigkeit der Identifikation des Dornfortsatzes C7 zwischen der bereits oben beschriebenen Flexion-Extension-Technik und der ultraschallgestützten Technik verglichen, v.a. im Hinblick auf die Sicherheit des Einsatzes der thorakalen Paravertebral- und Epiduralanästhesie in der Thorax- und Oberbauchchirurgie. In dieser Studie erfolgte, ebenfalls im Anschluss an die Identifikation und Markierung der vermuteten C7-Dornfortsätze, eine radiologische Kontrolle. Bei der sonografisch-assistierten Technik wurden sowohl die Transversalschnitttechnik (ultrasound transverse scan/US-TS) als auch die Parasagittalschnitttechnik (ultrasound parasagittal scan/US-PS) verglichen. In der Flexion-Extension-Gruppe fand sich eine korrekte Identifizierung des Dornfortsatzes C7 bei 72,5 %. Dagegen lag bei der Transversalschnitttechnik (UT/TS) die Trefferquote bei 52,5 % und bei der Parasagittalschnitttechnik (US/PS) bei 30 %. In den meisten Fällen wurde auch innerhalb dieser Untersuchung in allen Gruppen der Dornfortsatz C6 fälschlicherweise als der vermutete Dornfortsatz C7 identifiziert. Die Ergebnisse zeigten insgesamt, dass die Genauigkeit der Palpation des Dornfortsatzes C7 mithilfe der Flexion-Extension-Technik höher ist als mittels beider sonografisch-gesteuerter (US-TS und US-PS) Techniken. Statistisch signifikant höher war der Unterschied zwischen der Palpationstechnik und der Parasagittalschnitttechnik (US/PS) [24].

Scapula (Angulus medialis/Dornfortsatz Th3, Angulus inferior/Dornfortsatz Th7)

Bei der Palpation und korrekten Ermittlung der Dornfortsätze der Brustwirbelsäule muss man die besonderen anatomischen Merkmale der Brustwirbelkörper berücksichtigen. Die thorakalen Dornfortsätze stehen in unterschiedlichen Winkeln zu ihren Wirbelkörpern. Die Dornfortsätze 1, 2, 10 und 12 liegen fast horizontal in der Sagittalebene, ähnlich wie bei den Lendenwirbeln. Die restlichen thorakalen Dornfortsätze sind stark nach kaudal angewinkelt.

Die Palpation erfolgt direkt präinterventionell am sitzenden Patienten mit leicht flektierter Halswirbelsäule und angelegten herunterhängenden Armen. Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz werden durch ein Pulsoxymeter überwacht. Vor dem Patienten steht ein Assistent. Die Orientierung in diesem Wirbelsäulenabschnitt beginnt mit der Betrachtung der topografischen Lage der Scapula im Verhältnis zur Brustwirbelsäule. Aufsuchen des Angulus medialis an der Scapula. Das ist der dreieckförmige Beginn der Spina scapulae. Durch Einstellung der Finger in einer rechtwinkligen Position gegen den medialen knöchernen Rand des Schulterblatts lässt sich in diesem Bereich der Unterschied zwischen der weich-elastischen Muskulatur und der medialen Knochenkante der Scapula sehr gut differenzieren. In Höhe des Angulus medialis findet sich der Dornfortsatz Th3. Anschließend wird von medial über der Margo medialis der Scapula nach außen lateral bis zur unteren Begrenzung der Scapula, dem Angulus inferior, palpiert (Abb. 6). Auf dieser Höhe findet sich der Dornfortsatz Th7 (Abb. 7). Markieren des Dornfortsatzes Th7 (Abb. 8). Zur Absicherung erneute Orientierung nach kranial, Aufsuchen der Vertebra prominens (s. oben) und Markieren der Dornfortsätze Th1, Th3, C7 und C6 (Abb. 9). Auf diesem Wege ist eine zuverlässige Identifikation der Dornfortsatzspitze Th3 und Th7 möglich. Die anatomischen Gegebenheiten sollten vorab anhand von Röntgen-, MRT- bzw. CT-Bildern überprüft werden.

Das „Department of Anesthesia“ in der University of Calgary in Kanada hat 2009 eine randomisierte Untersuchung bei 210 Patienten durchgeführt. Dabei wurde die Genauigkeit der Identifikation des Dornfortsatzes Th7 unter Zuhilfenahme zweier anatomischer Landmarken, der Vertebra prominens (C7) und des Angulus inferior der Scapula, verglichen. Nach entsprechender Palpation und Markierung des vermuteten Th7-Dornfortsatzes erfolgte eine Überprüfung unter radiologischer Kontrolle. Patientenalter, Geschlecht, Größe, Gewicht und der BMI (body mass index) wurden bei der Bewertung ebenfalls berücksichtigt. Dabei zeigte sich, dass bei Patienten mit einem BMI < 25, der Dornfortsatz Th7 zuverlässig innerhalb eines Segments in 78 % der Fälle, unter Zuhilfenahme des Dornfortsatzes C7 (Vertebra prominens) als Landmarke, korrekt identifiziert werden konnte. Dagegen wurde festgestellt, dass bei den untersuchten Patienten mit einem BMI > 25 weder der Angulus inferior noch der Dornfortsatz C7 zuverlässige Landmarken zur Identifikation des Dornfortsatze Th7 waren [30].

Beckenkamm (intercrestal line, Tuffier’s line, Jacoby’s line), Spina iliaca posterior superior (SIPS)

Das Darmbein (Os ilium) besteht aus dem Darmbeinkörper und der Darmbeinschaufel. Der obere Rand der Darmbeinschaufel ist der Darmbeinkamm (= Crista iliaca, Beckenkamm). Das dorsale Ende des Beckenkamms ist der obere hintere Darmbeinstachel (Spina iliaca posterior superior/SIPS). Die eindeutige topografische Identifizierung sowohl der Beckenkämme als auch der SIPS ist für alle Injektionstechniken an der Lendenwirbelsäule äußerst relevant. Beide Orientierungspunkte lassen sich auch bei sehr adipösen Personen gut ertasten und dienen somit als wichtige anatomische Landmarken im Beckenbereich. Als „intercrestal line“, auch bekannt als Tuffier’s line oder Jacoby’s line, bezeichnet man eine horizontale Linie, die beide Darmbeinkämme verbindet. Sie durchquert in der Regel den Dornfortsatz L4. Das wird in der Literatur im Rahmen von mehreren klinisch-radiologischen und anatomischen Studien verifiziert [5, 15, 40].

Die Ermittlung der Beckenkämme und der SIPS erfolgt direkt präinterventionell am sitzenden Patienten. Der Patient sollte auf einer hohen Untersuchungsliege sitzen mit leichter Oberkörpervorneigung und seine Füße auf einem Fußtritt abstützen. Dadurch lässt sich einfacher, abhängig von der geplanten Injektionstechnik, die Flexion des Oberkörpers variieren. Der behandelnde Arzt sitzt so hinter dem Patienten, dass er fast in Augenhöhe die Inspektion und Palpation der unteren Lumbalregion vornehmen kann. Der Rücken ist so weit frei von Kleidungsstücken, dass unterer Rippenbogen, Taille, Beckenkämme und SIPS bequem untersucht werden können. Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz werden durch ein Pulsoxymeter überwacht. Vor dem Patienten steht ein Assistent.

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