Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Landmarkengestützte Injektionstechniken an der Wirbelsäule

Palpation und Markieren der Beckenkämme, der SIPS und der Dornfortsätze L3, L4, L5, Aufsuchen und Markieren des Dornfortsatzes S1

Einstich nach lateral in Höhe des Dornfortsatzes S1 genau in der Mittellinie zwischen der Medianlinie und der gleichseitigen SIPS in 45°-Winkeleinstellung bis zum jeweiligen ISG-Gelenk (Knochenkontakt/ligamentäre fächerförmige Infiltration nach kranial und kaudal), LA-Injektion

Epidurale dorsale Injektion (Epi dorsal/Epi gerade)

Dorsale interlaminäre Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 5–10 ml Naropin 2 mg/ml) ggf. im Gemisch mit Steroiden (Off-label-Use) mit einer 7,5 cm langen Spinocan-Kanüle in den dorsalen lumbalen Epiduralraum. Hauptindikationen sind das polyradikuläre Lumbalsyndrom und die zentrale Spinalkanalstenose.

Technik

sitzende Position mit abgestützten Füßen

Palpation und Markieren der Beckenkämme, der SIPS und der Dornfortsätze L3, L4 und L5

senkrechter Einstich einer mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllten „loss of resistance“- Spritze genau in der Medianlinie zwischen den Dornfortsätzen, meistens zwischen L3 und L4 sowie L4 und L5

langsames Vorschieben unter kontinuierlichem Andruck am Spritzenstempel bis ein schlagartiger Widerstandsverlust entsteht („loss of resistance“-Technik/Erreichen des Epiduralraums)

Auswechseln der NaCl-Spritze gegen die LA-Spritze, epidurale Injektion

Epidurale perineurale Injektion (Epi peri)

Dorsale schräg-kontralaterale interlaminäre Injektion eines niedrigkonzentrierten Lokalanästhetikums (z.B. 1 ml Naropin 2 mg/ml) ggf. im Gemisch mit Steroiden (Off-label-Use) mit einer 12 cm langen 29-G-Spinocan-Kanüle in den anterolateralen Epiduralraum im Segment L5/S1. Hauptindikationen sind das monoradikuläre Wurzelreizsyndrom L5 und S1.

Technik

sitzende Position mit abgestützten Füßen

Palpation und Markieren der Beckenkämme, der SIPS und der Dornfortsätze L3, L4 und L5, Aufsuchen und Markieren des Dornfortsatzes S1

Einstich einer 3,5 cm langen Führungskanüle 1 cm unterhalb und 1 cm kontralateral des Dornfortsatzes L5 in einem Winkel von 15–20° schräg bis zum Lig. flavum [35]

Einführen der 29-G-Kanüle durch die Führungskanüle. Vorschieben der Kanüle bis zum anterolateralen Epiduralraum L5/S1 (Abb. 21)

Aufsetzen der 1-ml-Spritze, epidurale-perineurale Injektion anterolateral

In einer Studie von Teske et al. [31] wurden Voluminamessungen des anterolateralen Epiduralraums L5/S1 durchgeführt. Dabei kam heraus, dass ganz geringe Volumina ausreichen (ca. 1 ml), um beide Nervenwurzeln (L5 und S1) zu umfluten.

Klinische Relevanz der Injektionstherapie an der Lendenwirbelsäule

Bei den am häufigsten vorkommenden L5- und S1-Wurzelreizsyndromen kann die komprimierte und angeschwollene Nervenwurzel am besten im anterolateralen Epiduralraum mit der epiduralen-perineuralen Injektion sowie in der foraminoartikulären Region mit der Spinalnervenanalgesie erreicht werden. Bei starken Schmerzen durch Nervenwurzelreizerscheinungen können lumbale Spinalnervenanalgesien sogar täglich an mehreren Tagen durchgeführt werden. Epidurale Injektionen sowie Facetten- und ISG-Infiltrationen können diesen Teil des Behandlungsprogramms ergänzen. Je nach Schweregrad können die Injektionen ambulant oder stationär durchgeführt werden.

Komplikationsmöglichkeiten

Am häufigsten sind orthostatische Reaktionen zu verzeichnen. Symptome wie Blässe, Übelkeit und kurzzeitige Bewusstseinseintrübung sind meist harmlos und durch Hochlagerung der Beine rasch reversibel. Die versehentliche Punktion der Pleura pulmonalis, zerebrale und kardiovaskuläre Komplikationen durch intravasale Applikation, allergische Reaktionen, Infektionen, tiefe Blutungen, Dura- oder Nervenwurzeltaschenpunktionen sowie eine akzidentelle intrathekale LA-Applikation erlangen dagegen aufgrund der Nähe zum ZNS, eine besondere Bedeutung und können zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Diese können letztendlich unabhängig von der technischen Durchführung der Injektionen auftreten. Die Komplikationsrate bei der Injektionstherapie an der Wirbelsäule ist insgesamt jedoch gering [37], insbesondere im Vergleich zu anderen minimalinvasiven Verfahren wie Lasertherapie, intradiskale Verfahren, endoskopische und offene Bandscheibenoperationen.

Ergebnisse in der Literatur

Es gibt zahlreiche Untersuchungen über die Bedeutung der Wirbelgelenke bei der Entstehung von Rücken-/Beinschmerzen [3, 8, 17, 18, 21, 28, 42]. Studien mit bildgesteuerten Injektionen konnten nachweisen, dass bereits geringe Mengen eines Lokalanästhetikums (0,3–0,5 ml) ausreichen, um den Ramus medialis an den Wirbelgelenken sicher zu umfluten und zu anästhesieren [1, 7]. Eine Arbeit von Manchikanti [19] mit weiteren 54 Autoren, die gleichzeitig die Guidelines der „American Association of Interventional Pain Physicians“ darstellt, weist eine gute Evidenz bezüglich der diagnostischen Blockaden an den Facetten- und ISG-Gelenken sowie eine gute Evidenz für die epidurale und transforaminale Injektionstherapie zur Behandlung der Radikulopathie beim Bandscheibenvorfall und eine befriedigende Evidenz bei der Spinalkanalstenose. Eine befriedigende bis gute Evidenz findet sich bei den therapeutischen Blockaden. Hingegen findet sich nur eine limitierte Evidenz bei den intraartikulären Facetteninjektionen und bei den diagnostischen Nervenwurzelblockaden. In dieser umfassenden Arbeit wurden insgesamt über 2400 Arbeiten aus den Jahren 1966–2012 berücksichtigt und ausgewertet. Zur Wirksamkeit epiduraler Injektionen beim lumbalen Wurzelkompressionssyndrom liegen weitere Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien vor [4, 6 10, 11, 12, 20, 39, 41]. Zur epiduralen-perineuralen Injektionstechnik mit dem Doppelnadelsystem gibt es insgesamt 3 Studien, alle mit einer positiven Evidenz. Untersucht wurde die Wirksamkeit von Lokalanästhetika mit Steroiden [13], von Orthokin [2] (vom Eigenblut hergestelltes Protein mit antiphlogistischer Wirkung) und von Lokalanästhetikum allein [23, 32].

Schlussfolgerung

Die landmarkengestützte segmentnahe Injektionstherapie an der Wirbelsäule hat einen besonderen Stellenwert bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen. Abschwellende und entzündungshemmende Medikamente werden sicher und effektiv, ohne größeren kostenintensiven apparativen und organisatorischen Aufwand, direkt an den Ausgangspunkt der Nozizeption im Bewegungssegment appliziert. Dies geschieht vor allem strahlenfrei und kann somit problemlos wiederholt werden. Lokale, radikuläre und pseudoradikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund stellen meistens die Hauptindikationen dar. Die sorgfältige Vorbereitung der Injektionsbehandlung hilft, Fehler und Komplikationen zu vermeiden. Insgesamt zählt die Injektionstherapie zu den sichersten und wirksamsten Methoden der orthopädischen/unfallchirurgischen Schmerztherapie.

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