Übersichtsarbeiten - OUP 11/2019

Landmarkengestützte Injektionstechniken an der Wirbelsäule

Es folgt ein bimanuelles Aufsuchen der Beckenkämme. Bei der Palpation sollte man idealerweise die palpierenden Finger immer exakt rechtwinklig mit der Fingerspitze gegen die Darmbeinkante einstellen. Anschließend gleiten die Daumen von lateral über die hinteren Darmbeinkämme nach medial bis zur Spina iliaca posterior superior (SIPS). Dies ist der dorsal-kaudalste Punkt der Crista iliaca. Sind Lendengrübchen vorhanden, befinden sich die SIPS etwas kaudal davon. Abschließend werden die Beckenkämme und die SIPS markiert (Abb. 10).

In der Literatur lassen sich einige Untersuchungen finden, die sich mit der Topografie der „intercrestal line“ befassen. In dem „Department of Anesthesiology“ in Seoul National University Hospital in Korea wurden 2003 bei 103 Patienten angefertigte Röntgen- und Funktionsaufnahmen der LWS ausgewertet. Dabei wurde festgestellt, dass die Verbindungslinie zwischen beiden Beckenkämmen den Dornfortsatz L4 durchquert und sogar bei voller LWS-Flexion keine wesentliche Abweichung vorliegt [9].

Dornfortsätze L3, L4 und L5

Die 5 Lendenwirbel sind unter den nicht miteinander verschmolzenen Wirbeln am größten. Ihre Körper sind im Querdurchmesser größer als von vorne nach hinten. Ober- und Unterseite sind nierenförmig und stehen nahezu parallel, mit Ausnahme des 5. Lendenwirbelkörpers, der etwas keilförmig ausgebildet ist. Die Lendenwirbel besitzen kurze und breite Bogenplatten, die sich in der Mittellinie treffen und den 4-seitigen, nahezu horizontal stehenden Dornfortsatz bilden [22]. Die Dornfortsätze L1 bis L4 sind länglich geformt, dagegen ist der Dornfortsatz L5 kleiner und hat eine eher rundlichere Form. Die eindeutige Identifizierung der Dornfortsätze L3, L4 und L5 sind für alle Injektionstechniken an der Lendenwirbelsäule äußerst relevant und machen eine exakte Untersuchung erforderlich.

Nach der Palpation und korrekter Ermittlung der Beckenkammhöhe und der SIPS erfolgt nun das Aufsuchen der unteren lumbalen Dornfortsätze. Man beginnt die Exploration in Höhe der Beckenkämme (Höhe L4). Die Fingerkuppen des Zeige- und Mittelfingers der einen Hand liegen rechts und links neben der Dornfortsatzreihe (Abb. 11). Mit dem Zeige- oder Mittelfinger der anderen Hand palpiert man gleichzeitig mit abwechselndem Druck die Dornfortsatzspitzen und die Interspinalräume von kranial nach kaudal. Der Dornfortsatz L3 und L4 stellt sich palpatorisch eher länglich geformt dar, im Gegensatz zum Dornfortsatz L5, den man eher als rundere Form ertastet [33]. Anschließend erfolgt das Markieren der Dornfortsätze L3, L4 und L5 (Abb. 12).

Spezielle neuroanatomische Aspekte der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule

Neben der Palpation, Identifizierung und Markierung der Landmarken sind bei der Durchführung der Injektionstechniken an der Wirbelsäule noch weitere neuroanatomische Aspekte zu berücksichtigen.

Die Halswirbelsäule besitzt 7 Halswirbel und 8 zervikale Rückenmarksegmente. Infolge der Wachstumsverschiebung liegen die Bewegungs- und Rückenmarksegmente nicht immer auf gleicher Höhe. Die Spinalnervenwurzeln von C4 an abwärts verlaufen kaudal und lateral, absteigend zu ihrer Austrittsstelle, durch das Foramen intervertebrale. Segmentale Syndrome werden nach der betroffenen Spinalnervenwurzel bezeichnet. An der Halswirbelsäule kennzeichnet die Zahl dabei gleichzeitig den unteren Wirbelkörper des betroffenen Segments. Beim C6 Syndrom ist die Bandscheibe C5/6, beim C7 Syndrom die Bandscheibe C6/7 betroffen. Die Wurzel C8 tritt durch das Foramen intervertebrale C7/Th1 [38].

In der Brustwirbelsäule setzt sich die bei der HWS beschriebene Verschiebung der Rückenmarksegmente gegenüber den dazugehörigen Bewegungssegmenten weiter fort. Das topografische Verhältnis zwischen Dorn- und Querfortsätzen der Brustwirbelkörper fällt segmentabhängig unterschiedlich aus. In Zentimetern ausgedrückt variiert die Lagebeziehung zwischen Dornfortsatz und Querfortsatz von 2,5–3,5 cm. Außerdem liegt die Prominenz des Querfortsatzes deutlich weiter dorsal als die thorakale Facette, d.h., der Knochenkontakt bei einer Infiltration mit dem Querfortsatz liegt nicht tiefer als der Knochenkontakt mit der thorakalen Facette [33].

In der Lendenwirbelsäule ist die Verschiebung zwischen dem Rückenmarksegment und dem entsprechenden Bewegungssegment am größten. Das untere Ende des Rückenmarks mit seiner Spitze streckt sich nur bis zum 1.–2. Lendenwirbelkörper. Die Spinalnerven verlaufen eine längere Strecke im Subarachnoidalraum und treten weiter kaudal in ihrem zugehörigen Foramen intervertebrale aus dem Wirbelkanal aus. Die Gesamtheit der langen kaudalen Spinalnerven, zusammen mit dem Filum terminale, dem Endfaden des Rückenmarks, welcher bis zum 2. Steißbeinwirbel reicht, nennt man Cauda equina [14].

An der Lendenwirbelsäule ist die Gefahr einer bandscheibenbedingten Kompression in den Segmenten L4/5 und L5/S1 am größten, da nur in den beiden unteren Segmenten die lumbalen Nervenwurzeln durch Bandscheiben tangiert werden. Ein Bandscheibenvorfall der Bandscheibe L4/5 bedrängt in erster Linie die Wurzel L5. Bei einem großen lateralen bzw. kranial verschobenen Prolaps in dieser Höhe kann auch die L4-Wurzel komprimiert werden, da diese oberhalb der Zwischenwirbelscheibe L4/5 verläuft. Dagegen können im Segment L5/S1, auch bei einem kleineren lateralen Vorfall, die Wurzeln L5 und S1 gleichzeitig komprimiert sein, da die Spinalnervenwurzel L5 im oberen Abschnitt des Foramen intervertebrale direkt den äußeren Lamellen der Bandscheibe aufliegt [38].

Injektionsstechniken

Neben der Indikationsstellung nach Sicherung der Diagnose muss vor Einleitung der Injektionstherapie im betroffenen Wirbelsäulenabschnitt auch das Vorhandensein von Kontraindikationen überprüft werden. Dazu tragen die eingehende Anamneseerhebung, die sorgfältige orthopädisch-neurologische und ggf. laborchemische Untersuchung sowie die für den individuellen Fall erforderlichen bildgebenden Verfahren bei (Tab. 1).

Zur Ergänzung der vorgegebenen Längen- bzw. Tiefen- und Winkelangaben können präinterventionell, z.B. mittels verschiedener Messtools, digital an den bereits vorhandenen Bildern (Röntgen, MRT, CT) sämtliche erforderliche Messungen exakt vorgenommen werden.

Zervikale Spinalnervenanalgesie (CSPA)

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