Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Monosegmentale, degenerativ erworbene Spinalkanalstenose
Unilaterale Dekompression versus unilaterale Dekompression mit Undercutting der Gegenseite bei beidseitiger Symptomatik Unilateral decompression with contralateral undercutting versus unilateral decompression for symptomatic, bilateral spinal stenosis

Obwohl die operative Dekompression einer erworbenen, lumbalen Spinalkanalstenose bei therapieresistenten Schmerzen und neurologischen Defiziten heute unumstritten ist, besteht keine Einigkeit bezüglich der verschiedenen möglichen Operationsverfahren [1, 2]. Der klassische oder traditionelle Zugang ist die offene Dekompressionsoperation mit Laminektomie, partieller Arthrektomie und Foraminotomie, inklusive einer weitreichenden Muskelretraktion und Entfernung stabilisierender Strukturen [3–5]. Trotz der Erfolge, die die traditionelle oder klassische Dekompression aufweist, beinhaltet sie doch ein erhebliches Risiko an postoperativen Instabilitäten, muskulärer Schwäche infolge einer Atrophie und eines sog. Failed-back-surgery-Syndrom [6–10]. Heutzutage finden sich in der Literatur zahlreiche minder-invasive Operationstechniken mit transmuskulärem Zugang zur Wirbelsäule, die dorsal-stabilisierende Strukturen intakt lassen. Eine dieser minder-invasiven Techniken ist die unilaterale Dekompression mit Undercutting der Gegenseite [9–11]. In der aktuellen Literatur finden sich nur wenige vergleichende Arbeiten, die unterschiedliche Operationstechniken direkt miteinander vergleichen. Vor diesem Hintergrund ist es der Anspruch dieser retrospektiven Studie, die unilaterale Laminotomie und die Laminotomie mit Undercutting zur Gegenseite mit beidseitiger Symptomatik, auf Wirksamkeit und Vorteile zu untersuchen.

Dafür wurden bekannte klinische Scores wie der VAS, Roland Morris Score, Oswestry Disability Score und die selbsteingeschätzte Gehstrecke vor der Operation und nach der Operation erhoben. Anschließend wurde ein Gesamtscore definiert. Dieser wurde aus den für die Spinalkanalstenose entscheidenden Parametern Schmerz, Funktion und Zufriedenheit formuliert.

Fragestellungen

  • 1. Bringt die Laminotomie mit Undercutting bei konzentrischen Spinalkanalstenosen mit beidseitiger Symptomatik im Vergleich zur unilateralen Laminotomie eine Verbesserung bezüglich Funktionalität und Schmerzen?
  • 2. Kann man den Erfolg mittels eines Gesamtscores nachvollziehen?
  • 3. Sind Patienten mit degenerativer Spinalkanalstenose mit dieser Operationstechnik zufrieden?
  • 4. Wie ist der Stellenwert der Laminotomie mit Undercutting im Vergleich mit anderen Operationsmethoden im Rahmen einer lumbalen Spinalkanalstenose in der aktuellen Literatur?

Methodik

Einschlusskriterien/
Ausschlusskriterien

In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden nur Daten von Patienten verwendet, die aufgrund einer symptomatischen, bilateralen degenerativen lumbalen Spinalkanalstenose von 2006 bis einschließlich 2008 operiert worden waren. Es wurden Patienten identifiziert, die entweder eine unilaterale Laminotomie oder unilaterale Laminotomie mit zusätzlichem Undercutting zur Gegenseite erhalten hatten. Ausgeschlossen wurden Daten von Patienten mit Beschwerden in anderen Wirbelsäulenabschnitten, mit mehr als einem betroffenen Segment, mit anderen Operationsmethoden oder nach Einbringung von Implantaten. Die Wahl des optimalen Operationsverfahrens für den individuellen Patienten erfolgte durch den jeweiligen Operateur. Hauptgründe für die Wahl auf eine bilaterale Dekompression durch Undercutting zu verzichten, waren limitierende präoperative Nebenerkrankungen sowie ausgeprägte segmentale degenerative Veränderungen. Der Einschluss in die Studie erfolgte unabhängig vom Alter. Es konnten nur Patienten eingeschlossen werden, von denen auch Daten vor der Operation erhoben worden waren. Weiter musste eine Einwilligung zur pseudonymisierten Auswertung und Veröffentlichung der Daten zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen. Es wurden auch Daten von Patienten verwendet, die nur die Fragebögen ausfüllten und zurückschickten und nicht an der Nachuntersuchung teilnahmen. Jeder Patient war entsprechend aufgeklärt, dass zu jedem Zeitpunkt ein Abbruch der Teilnahme und damit das Nicht-Einbeziehen der Daten möglich war.

Fragebogen

Alle Daten wurden anhand eines standardisierten Fragebogens erfasst. Dieser wurde den Studienteilnehmern postalisch zugestellt und beim Nachuntersuchungstermin besprochen. Der Fragebogen umfasste allgemeine Angaben zur Person, 3 klinisch funktionelle Scores (Oswestry Disability Score, Visuelle Analogskala für Schmerz, Roland Morris Score), den ASA-Score, die prä- und postoperative Gehstrecke und die Patientenzufriedenheit.

Zusätzlich wurden noch die folgenden Parameter zur Auswertung erhoben: Geschlecht, Geburtsdatum, BMI, Beschäftigungsgrad, Beschwerdedauer, Vorbehandlung und Nachbehandlung, operiertes Segment, Operationsdauer/Dauer des stationären Aufenthalts, Komplikation und Krankenhausverweildauer.

Statistische Auswertung

Die statistischen Auswertung der Daten erfolgte mit dem Programm SPSS (Statistical Package for Social Sciences, Chigago, IL, Version 20.0). Für die statistische Beratung wurde das Institut für medizinische Biometrie und Epidemiologie der Universität Hamburg zu Rate gezogen. In dieser Studie wurde bei allen durchgeführten Verfahren ein p-Wert < 0,05 als statistisch signifikant gewertet. Zur deskriptiven Auswertung der Daten wurden Mittelwert und Standardabweichung (SD) für parametrische Daten, Median und Inquartile Range für nichtparametrische Daten angegeben. Außerdem wurde je nach Aussagekraft die prozentuelle Verteilung der Daten bewertet.

Die Daten wurden anhand des Kolmogorov-Smirnov-Tests und zur Bestätigung mittels des Shapiro-Wilk-Tests auf Normalverteilung geprüft. Zur Auswertung der prä- und postoperativen Daten wurde aufgrund der bestehenden Asymmetrie der Daten der Permutationstest verwendet [13]. Um die prä- und postoperativen Werte der untersuchten Scores auszuwerten, haben wir, auf dem Central-Limit-Theorem basierend, den unabhängigen bzw. abhängigen Students’ T-Test verwendet. Anschließend erfolgt der Vergleich der Scores zwischen den beiden Gruppen mittels Students’ T-Test, um mögliche Unterschiede und Vorteile aufzuzeigen.

Ethische Richtlinien

Alle ethischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Anforderungen an klinische Prüfungen wurden erfüllt. Vor der Teilnahme an der Studie wurde jeder Patient umfassend über den Untersuchungsablauf, rechtliche Grundlagen, ethische Voraussetzungen und Vertraulichkeit der Daten aufgeklärt. Es erfolgte eine ausführliche Erklärung über den jederzeit möglichen Ausstieg aus der Studie. Jeder Patient gab sein schriftliches Einverständnis zur Studienteilnahme. Die Studie war zu Beginn von der Ethik-Kommission der Universität Marburg genehmigt worden.

Ergebnisse

Patientenkollektiv

Anhand der OPS und ICD-Codes konnten insgesamt 234 Patienten identifiziert werden, die in den Jahren 2006 bis einschließlich 2008 an einer symptomatischen, bilateralen, degenerativen, lumbalen Spinalkanalstenose mittels Laminotomie plus Undercutting bzw. mittels Laminotomie operiert wurden. Anhand einer Zufallszahlentabelle [14] wurden entsprechend den Vorgaben des Biomedizinischen Zentrums des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zu Beginn der Studie eine Auswahl von 120 Patienten getroffen. Unter den übrig gebliebenen 120 Patienten hatten 70 Patienten eine unilaterale Laminotomie und 50 Patienten eine unilaterale Laminotomie mit zusätzlichem Undercutting erhalten.

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