Übersichtsarbeiten - OUP 10/2018

Perioperatives Schmerzmanagement aus Sicht des Operateurs

Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Im Rahmen des vorliegenden Beitrags werden die Prinzipien der perioperativen Schmerztherapie insbesondere aus Sicht des Operateurs dargestellt. Neben den theoretischen Grundlagen finden sich praktische Hinweise, vor allem zur intraoperativen Anästhesie, wie dem
Supraskapularisblock, der LIA oder dem Fußblock. Der Artikel soll dem Operateur eine Hilfestellung geben bei der Frage, wie er die perioperative Schmerztherapie des Patienten
positiv beeinflussen kann.

Schlüsselwörter: Operation, Schmerzmanagement, perioperativ, theoretische Grundlagen, praktisches Vorgehen

Zitierweise
Jerosch J: Perioperatives Schmerzmanagement aus Sicht
des Operateurs.
OUP 2018; 7: 496–504 DOI 10.3238/oup.2018.0496–0504

Summary: In the review the principles of perioperative pain therapy are presented, especially from the point of view of the surgeon. In addition to the theoretical basics, there are practical tips, especially for intraoperative anesthesia, such as the suprascapularis block, the LIA or the foot block. The review aims to assist the surgeon in particular in the subject of how to influence positively the patient‘s perioperative pain therapy.

Keywords: surgery, pain management, perioperative, theoretical basics, practical procedure

Citation
Jerosch J: Perioperative pain therapy from the surgeon’s
point of view.
OUP 2018; 7: 496–504 DOI 10.3238/oup.2018.0496–0504

1 Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss

Pathophysiologie
des Schmerzes

Schmerzen sind das Ergebnis

kortikaler Verarbeitung

nozizeptiver Impulse, ...

... dabei ist zwischen dem Hautschmerz, dem somatischen Tiefenschmerz der Muskulatur, den Bändern, Faszien, Sehnen und Gelenken und dem Eingeweideschmerz zu unterscheiden. Spielt der Eingeweideschmerz in der Orthopädie nur bei Operationen am Becken und Wirbelsäuleneingriffen eine Rolle, so ist gerade dem somatischen Tiefenschmerz und dem oberflächlichen Hautschmerz im operativen Alltag besondere Beachtung zu schenken.

Nozizeptive Reize entstehen in der Peripherie durch die Erregung von Nozizeptoren. Hierbei weisen die Nozizeptoren in gesundem Gewebe eine relativ hohe Reizschwelle auf, sodass gewebebedrohliche mechanische Reize erforderlich sind, um zu einer Nozizeptorerregung zu führen. Neben mechanischen Reizen können auch thermische und chemische Reize wie endogen freigesetztes Bradykinin, Prostaglandine oder Serotonin zu einer Nozizeptorerregung und/oder zu einer Sensibilisierung von Nozizeptoren führen (periphere Sensibilisierung) [15, 16, 17, 23]. In entzündlich verändertem Gewebe findet man eine gesteigerte Synthese an Cyclooxygenase II, welche die bei einer Gewebeverletzung freigesetzten Membranphospholipide u.a. zu Prostaglandinen katalysiert, die wiederum zum „Wecken schlafender Nozizeptoren“ und zu einer Erweiterung der Blutkapillaren führen.

Über schnell leitende, markhaltige A? -Fasern (Gruppe III) sowie langsamer leitende, marklose C-Fasern (Gruppe IV) erfolgt die Weiterleitung der Nozizeptorerregung zum Hinterhorn des Rückenmarks. Reagieren in gesundem Gewebe nur 33,5 % der a? -Fasern und 10 % der C-Fasern auf alltägliche Gelenkbewegungen im Tiermodell, so nimmt der Anteil aktivierter a? - und C-Fasern in entzündlichem Gewebe auf 89 % bzw. 72 % zu [41]. Neben den afferenten Funktionen haben die a?- und C-Fasern auch efferente Funktionen, z.B. bei einer neurogenen Entzündung, die durch Neurotransmitterfreisetzung aus freien Nervenendigungen entsteht. Eine solche neurogene Entzündung entsteht z.B. bei einer direkten mechanischen Verletzung von peripheren Nerven durch einen operativen Eingriff.

Auf Rückenmarksebene erfolgt die Verarbeitung der nozizeptiven Afferenzen. Es erfolgt die Umschaltung auf das zweite nozizeptive Neuron. Hier werden präsynaptisch u.a. Glutamat und Substanz P freigesetzt, die postsynaptisch zu einer Modulation der Permeabilität für bestimmte Ionen führen, sodass eine Fortleitung der Erregung zu höher gelegenen nozizeptiven Zentren erfolgt. Die Modulation der Ionenkanäle kann aber auch zu einer Änderung der Erregbarkeit postsynaptischer Zellen führen, sodass es zu einer Sensibilisierung der zentralen nozizeptiven Neurone kommt (zentrale Sensibilisierung). Neben der Impulsweiterleitung zum Thalamus und Kortex sind diese Neurone auch in motorische und vegetative Reflexbahnen eingebunden.

Durch die zentripetale Impulsweiterleitung über die aszendierenden nozizeptiven Bahnen, hier insbesondere der Tractus spinothalamicus anterior, werden spezifisch thalamische und kortikale Neurone aktiviert. Das Zusammenspiel von Thalamus, limbischem System, Hypothalamus, Medulla, Mesenzephalon und Kortex führt nun zur Impulsverarbeitung und somit zum Schmerzerleben. Dabei wird das jeweilige emotionale Schmerzerleben von Schmerzerinnerungen, Angst und Schmerassoziationen mitgeprägt.

Bis zum Abklingen der akuten postoperativen Schmerzen beeinflussen die Schmerzen den Heilungsverlauf und die Remobilisation des operierten Patienten nachhaltig: Periphere und zentrale Sensibilisierung von Nozizeptoren sowie die Schmerzweiterleitung auf Rückenmark-Ebene führen reflektorisch zur einer Ruhigstellung der operierten Extremität und behindern so die Remobilisation. Verminderte Durchblutung, Immunsupression und eine veränderte Thrombozytenaggregation als Ausdruck des aktivierten sympathikoadrenergen Systems aufgrund akuter Schmerzen spielen bei der Entstehung postoperativer Thrombosen, Wundheilungsstörungen, Myokardinfarkten und Pneumonien eine wesentliche Rolle [6, 13] (Abb. 1).

Bei ausbleibendem Abklingen postoperativer Schmerzen kann es zur Schmerzchronifizierung kommen. Insbesondere nach Amputationen von Extremitäten kommt es in 70 % der Fälle zur Entwicklung chronischer Schmerzen. Bei der Entstehung chronischer Schmerzen nach operativen Eingriffen scheint insbesondere die operative Nähe zum Nerv relevant zu sein. Chronische Schmerzen sind dabei durch eine Schmerzdauer von > 6 Monaten und häufig durch eine fehlende Beziehung zwischen empfundenem Schmerz und der Reizintensität gekennzeichnet (Schmerzverselbstständigung). In diesem Zusammenhang sind auch der Hyperalgesie, also einer gesteigerten Schmerzwahrnehmung, und der Allodynie, die Schmerzangabe bei sonst nicht schmerzhaften Reizen, besondere Beachtung zu schenken.

Präoperative Phase

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