Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern

Johannes Gottwalt, Thomas Gottfried

Zusammenfassung:

Die Physikalische Medizin ist ein wesentlicher Baustein im multimodalen Behandlungskonzept rheumatischer Krankheitsbilder. Die physikalische Therapie hat eine lange Historie, die bis weit
in die Antike zurückreicht. Zunächst empirisch angewandt, zeigen aktuelle wissenschaftliche
Untersuchungen und Studien reichlich Evidenz und bestätigen deren Stellenwert. Rheumatische Erkrankungen sind häufig von einem chronischen und teils destruierenden Verlauf gekennzeichnet. Anhaltende Schmerzen und Funktionseinschränkungen sind die Folge. Der Artikel soll Überblick verschaffen über etablierte physikalische Therapieverfahren mit Schwerpunkt der Thermo-, Hydro- und Elektrotherapie, deren Wirkungsweise, Indikationen, Kontraindikationen und Nebenwirkungen.

Schlüsselwörter:
Physikalische Medizin, rheumatische Erkrankungen, multimodale Therapie

Zitierweise:
Gottwalt J, Gottfried T: Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern.
OUP 2019; 8: 262–272
DOI 10.3238/oup.2019.0262–0272

Summary: Physical medicine is an essential component in the multimodal treatment of rheumatic diseases. Physical therapy has a long history dating back to ancient times. First applied empirically, current scientific studies confirm evidence. Rheumatic diseases are often characterized by a chronic and sometimes destructive course. Persistent pain and functional limitations are the results. Aim of the article is to show an overall view of established physical therapies, focusing on thermo-, hydro- and electrotherapy. The physiological principles, indications, contraindications and side effects are explained

Keywords: physical medicine, rheumatic diseases, multimodal therapy

Citation: Gottwalt J, Gottfried T: Physical therapy in rheumatic diseases. OUP 2019; 8: 262–272
DOI 10.3238/oup.2019.0262–0272

Klinik Höhenried gGmbH, Orthopädie, Bernried

Einleitung

Rheumatische Erkrankungen haben unterschiedliche Ausprägungsformen und vielfältige klinische Erscheinungsbilder. Unterschieden werden grundsätzlich 4 Hauptgruppen:

Entzündlich rheumatische Erkrankungen. Diese sind in der Regel autoimmunvermittelte chronisch inflammatorische Systemerkrankungen. Hierzu zählen unter anderem die Rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis und die Spondyloarthritiden, z.B. Ankylosierende Spondylitis (M. Bechterew), Kollagenosen und Vaskulitiden.

Degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (Arthrosen)

Chronische Schmerzerkrankungen, z.B. das Fibromyalgie-Syndrom.

Erkrankungen des Bewegungsapparats bei Stoffwechselerkrankungen, z.B. die Arthritis urica (Gicht) und Osteoporose.

Die entzündlich rheumatischen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen haben zumeist einen chronisch-progredienten Verlauf. Bei der Rheumatoiden Arthritis ist die primäre Angriffsfläche die Synovialmembran. Ungebremst resultieren im Extremfall erhebliche Gelenkdestruktionen, die bis zu Gelenkdeformitäten, Kontrakturen und Funktionsverlust führen können. Das ärztliche Bestreben, die Erkrankung in den Griff (Remission) zu bringen, ist es, medikamentös eine zielgerichtete (treat to target) Langzeittherapie zu installieren. Hier stehen als Disease modifying antirheumatic drugs (DMARD) seit nun ca. 20 Jahren zusätzlich gentechnisch hergestellte kostenintensive Biologika zur Verfügung, die erfreulicherweise die Prognose v.a. der Rheumatoiden Arthritis deutlich verbessert haben. Trotz guter Kontrolle der entzündlichen Aktivität unter der immunsupprimierenden Medikation verbleiben dennoch bei einem nicht beträchtlichen Anteil der Patienten Schmerzen, Funktionseinschränkungen und Limitierungen bei der Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben (u.a. Frühberentung). Der Stellenwert nicht-medikamentöser Therapien bei rheumatischen Erkrankungen ist weiter von essenzieller Bedeutung zum Erhalt und zur Verbesserung der Lebensqualität. Nicht nur zur Dosiseinsparung nebenwirkungsbelastender Analgetika (NSAR, Opioide, Opiate) und
den UAWs immunsupprimierender DMARDs ist eine multimodale Behandlungsstrategie indiziert. Diese umfasst u.a. auch Physikalische Medizin, inklusive Physio-/Ergo-/Bewegungs- und Sporttherapie. Aktuell sind derartige Therapiekonzepte realisiert in rehabilitativen ambulanten und stationären Maßnahmen, sowie in der akut-stationären Versorgung, u.a. in Form der multimodalen rheumatologischen Komplexbehandlung.

Physikalische Medizin

Die physikalische Medizin (griech. physis = Natur) umfasst Anwendungen, die physiologische Reaktionen auf äußere Reizsetzungen planmäßig therapeutisch nutzen. Die Effekte basieren somit auf dem Reiz-Reaktions-Prinzip. Die physikalische Therapie nutzt mechanische, thermische, elektrische und aktinische Energie sowie physiko-chemische Faktoren. Im weiteren Sinne zählen auch Physio-/Bewegungs- und Sporttherapie dazu, auf die in diesem Artikel aufgrund der Komplexität nur marginal eingegangen wird. Unterschieden werden kurzfristig wirksame und spürbare Soforteffekte (Immediatwirkung), wie z.B. eine Vasodilatation und Zunahme der Durchblutung im Muskel bei lokaler Wärmeapplikation und längerfristige Regulations- und Anpassungsvorgänge (Adaption) des Organismus bei wiederholter Anwendung über einen längeren Zeitraum. Als Beispiel dient die Modulation des Immunsystems mit verbesserter Infektabwehr bei wiederholten Saunagängen.

Vor Verordnung eines physikalischen Therapiekonzepts ist eine individuelle ärztliche Befunderhebung erforderlich, ggf. ergänzt durch eine bildgebende Diagnostik. Bei der Anamnese sind vor allem auch die Komorbiditäten in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Neben einer muskuloskelettal betonten klinischen Untersuchung sollte insbesondere auch der kardio-pulmonale Status berücksichtigt werden. Bei den entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, wie z.B. der Rheumatoiden Arthritis (RA) und insbesondere aber den Kollagenosen und Vaskulitiden sollte ein potenzieller Organbefall evaluiert werden, da sich aus diesem häufig Kontraindikationen für physikalische Therapieformen ergeben. Die physikalische Therapie ist eine Reiztherapie, die für den Körper zumeist eine Belastung darstellt und mit Nebenwirkungen verbunden sein kann. Ferner müssen Folgen sowie sekundäre Krankheiten einer rheumatischen Erkrankung berücksichtigt werden. Insbesondere Sekundärarthrosen und im Verlauf chronifizierte Schmerzen können das physikalische Portfolio erheblich einschränken. Ebenso sind das Alter, Multimorbidität, die unterschiedliche körperliche Reaktionslage des vegetativen Nervensystems sowie der körperliche Trainingszustand (Fitness) ausschlaggebend für die Intensität und Dauer physikalischer Therapiemaßnahmen. Beim Rheumatiker muss die Verordnung der jeweiligen individuellen Krankheitsaktivität angepasst werden. In einem akuten entzündlichen Schub steht die Analgesie und Entzündungshemmung im Vordergrund, in der Remissionsphase oder einem inaktiven Stadium die Verbesserung der ROM, Kraft, Kraftausdauer und Koordination. Als allgemeine Regel dienlich sind in akuten Krankheitsphasen oder bei starken Schmerzen physikalische Therapieformen wie folgt zu verordnen: Zeitlich eher kurz bemessen, tendenziell niedrigere Reizintensität, dafür aber in der Summe häufigere Termine über den Tag oder die Woche verteilt. Bei chronischen oder subakuten Stadien können die Reizdauer und Reizintensität gesteigert und die Intervalle gespreitet werden. Vor Verordnung sollten zwischen Arzt und Patient realistische Therapieziele vereinbart werden, bei Visiten oder Praxisbesuchen im Verlauf die Verträglichkeit, Nebenwirkungen und die Effizienz der verordneten Maßnahmen überprüft und entsprechend angepasst werden.

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