Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern

Formen der Physikalischen

Medizin:

Hydro- und Balneotherapie

Thermotherapie: Wärme-/Kältetherapie

Elektrotherapie

Ultraschalltherapie

Magnetfeldtherapie

Lichttherapie

Strahlentherapie

Physiotherapie, Ergotherapie

Sporttherapie/Medizinische Trainingstherapie (MTT)

Massagen, weitere Verfahren

Ziele der Physikalischen Medizin

Schmerzlinderung

Funktionsverbesserung (Kraft,
Beweglichkeit, Ausdauer, Koordination)

Erhalt und Verbesserung der Beweglichkeit

Muskeldetonisation, Muskelaufbau. Behebung muskulärer Dysbalancen.

Verbesserung von Durchblutung und Trophik

Entzündungshemmung

Prävention von Folgeschäden

Prophylaxe und Korrektur von Fehlstellungen

Modulation des Immunsystems

Einsparung systemischer Medikation

Verbesserung der körperlichen Reaktionslage, Adaption

Verbesserung des psychischen Wohlbefindens.

Thermotherapie
(Wärme-/Kältetherapie)

Die Thermotherapie umfasst physikalische Verfahren, bei denen Wärmeenergie dem Körper entweder zugeführt oder entzogen (Kryotherapie) wird. Die Wärme wird durch Leitung, Strömung oder Strahlung übertragen. In der Haut befinden sich Kalt- und Warmrezeptoren. Die höchste Rezeptorendichte liegt im Gesichtsbereich, die niedrigste an den Extremitäten. Kalte Reize werden schneller wahrgenommen als warme. Zusätzlich verfügt der Mensch über Hitzerezeptoren, die bei „schmerzhaften“ Temperaturen ab 43 °C erregt werden und deswegen zu den Nozizeptoren zählen. Wärmeanwendungen setzen eine funktionstüchtige Thermoregulation des Patienten voraus. Die Dosierung der Reizintensität und Reizdauer muss individuell der Reaktionslage, Konstitution, den Beschwerden, dem Krankheitsbild, den Komorbiditäten und dem Alter des Patienten angepasst sein. Zu beachten ist zudem die circadiane Rhythmik. Am Morgen bis zum frühen Nachmittag besteht beim Menschen in der Regel eine höhere Empfindlichkeit für kalte Reize, am späten Nachmittag und Abend für warme Reize.

Wärmetherapie

Dem menschlichen Körper kann thermische Energie in verschiedenen Formen zugeführt werden, u.a.:

Packungen/Peloide (Fango, Moor, Torf, Schlick ...)

Hydrotherapie (Teil-/Voll-Bäder, Güsse, Wickel ...)

andere Wärmeträger (Paraffin, Gelpackungen ...)

Elektrotherapie: Hochfrequenztherapie/Diathermie (Tiefenwirkung)

Ultraschallbehandlungen (Tiefenwirkung)

Lichttherapie: Infrarot, Laser

Heißluft (Sauna).

Bei der Leitung (Konduktion) erfolgt der Wärmetransport infolge eines Temperaturunterschieds von einem Feststoff oder einer Flüssigkeit direkt über Hautkontakt in den Körper. Dieser Temperaturgradient wird beispielsweise bei Heublumenpackungen oder Peloiden in der Rheumatologie genutzt. Eine ebenso unmittelbare Erwärmung erfolgt durch den Mechanismus der Strömung (Konvektion) durch beispielsweise Wasser (medizinisches Bad) oder Wind. Bei der Wärmestrahlung (Radiation) wird im Körper elektromagnetische Energie in Wärme umgewandelt (z.B. Infrarottherapie). Wirkungen der Wärmetherapie: Lokal bewirkt der Wärmeanstieg im Gewebe eine Vasodilatation bei gleichzeitiger Abnahme der Viskosität von Flüssigkeiten. Hiervon ist auch die Synovia betroffen. Aus der Hyperämisierung resultiert eine Steigerung von Stoffwechselvorgängen sowie ein vermehrter Abtransport von Metaboliten mit Vorteil auf die Trophik des Gewebes. Ferner ist eine Muskeldetonisierung, verbesserte Gewebeelastizität, Gelenkmobilität und reduzierte Morgensteifigkeit zu registrieren. In der Rheumatologie wird insbesondere auch der analgetische Effekt der Thermotherapie geschätzt. Eine milde Hyperthermie führt zu einer Immunstimulation, eine starke Hyperthermie zu einer Immunsuppression. Bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen wird somit auf das Zytokinmilieu Einfluss genommen, das bei den autoimmun vermittelten inflammatorischen Prozessen eine entscheidende Rolle spielt [3]. Die Wärmetherapie führt allgemein zu einer Zunahme der Herzfrequenz und des Herzminutenvolumens. Venentonus und Blutdruck werden abgesenkt. Allgemein kommt es zudem zu einer psychischen Entspannung. Abhängig von Dauer, Applikationsfläche und Intensität stellt die Thermotherapie eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System dar. Dies gilt insbesondere für Moorbäder. Im höheren Lebensalter sollten in der Regel eher reizarme und milde Wärmeanwendungen verordnet werden. Bei rheumatischen Erkrankungen ist zu beachten, dass Thermotherapie in einem subakuten Stadium eine Schubsituation auslösen kann und aktivierte Sekundärarthrosen aggravieren. Bei chronifizierten oder somatoformen Schmerzsyndromen ist nicht selten das subjektive Temperaturempfinden alteriert oder vegetative Begleitreaktionen sind zu zu erwarten.

Als Kontraindikationen für Wärmeanwendungen gelten:

akute Arthritis („rheumatischer Schub“), akuter Gichtanfall, bakterielle Arthritis

akute Tendovaginitis oder Bursitis

floride Vaskulitiden und Kollagenosen

Spondylodiscitis: bakterieller oder autoimmuner Genese (M. Bechterew)

aktivierte (erosive) Arthrose

frischer Bandscheibenvorfall

arterielle Durchblutungsstörungen (pAVK Grad III oder IV nach Fontaine)

tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie

Blutungen, Blutungsneigung

Tumore, schwere Allgemeinerkrankungen oder fieberhafte Infekte

schwere Herz-/Kreislauferkrankungen, unzureichend eingestellter arterieller Hypertonus, Ödeme

gestörte Thermoregulation oder Sensibilität.

Indikationen:

Arthrosen, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, chronische Arthralgien

chronisch entzündlich rheumatische Erkrankungen in der nicht-arthritischen Phase: RA, Psoriasis-Arthritis, Spondyloarthritiden

myofasciale Symptomatik, Tendomyosen, Enthesiopathien, Fibroostosen, chronische Periarthropathien

chronische Schmerzsyndrome,
Fibromyalgie

Am häufigsten finden Wärmepackungen und Peloide (pelos = Schlamm) ihren Einsatz in der Rheumatologie. Peloide, wie z.B. Fango und Moor, sind natürliche Heilmittel und kommen als (an)organische Stoffe aus dem Boden. Diese Substanzen werden mit Wasser vermischt und zu Packungen aufbereitet oder auch als Bäder benutzt (Abb. 1–2). Fango ist mit Wasser versetzter Mineralschlamm vulkanischen Ursprungs. Alle Peloide zeichnen sich durch eine hohe Wärmekapazität aus, also Speicherfähigkeit, sodass eine langanhaltende Erwärmung der Haut und der darunterliegenden Bindegewebs- und Muskelschichten möglich ist. Moorpackungen oder Moorbäder haben eine lange Tradition in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen, insbesondere der Spondyloarthritiden. Den Moorinhaltsstoffen werden adstringierende, antibakterielle, aber auch entzündungshemmende Effekte zugesprochen. Evidenzbasierte Studien konnten für Heiltorfapplikationen die positive Beeinflussung des Zytokinmilieus (u.a. Interleukine, TNF-alpha) sowie Hinweise für eine Chondroprotektion (bei Cox- und Gonarthrose) schön herausarbeiten und die Wirksamkeit auf die funktionale und funktionelle Gesundheit bei rheumatischen Erkrankungen im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts belegen [1]. Moorbäder werden mit ca. 42 °C aufgeheizt. Es erfolgt eine milde Überwärmung (Hyperthermie) mit Erhöhung der Körperkerntemperatur um ca. 1–2 °C. Die Dauer beträgt ca. 20–30 Minuten. Eine ebenso lange Nachruhe muss unbedingt eingehalten werden. Zu beachten ist beim Ausstieg aus dem Moorbad eine potenzielle orthostatische Dysregulation mit Synkope. In der Rheumatologie finden auch häufig Heublumenpackungen Einsatz. Die Pflanzenbestandteile enthalten Cumarine als Wirkstoffe, die ein länger anhaltendes Hauterythem bewirken. Durch ätherische Öle wird eine zentral sedierende und entspannende Wirkung postuliert. Die Temperatur beträgt 40–42 °C, die Heupackung sollte ca. 30 Minuten appliziert werden.

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