Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern

Hydrostatischer Druck: Bei Immersion in das Wasser wird von außen auf den menschlichen Körper eine Kompression ausgeübt, die mit der Tiefe zunimmt. Bei einem im Bewegungsbad stehenden Menschen ist somit der Schweredruck an den unteren Extremitäten am höchsten. Durch den Wasserdruck kommt es zu einer Blutvolumenverlagerung im venösen System von der Peripherie nach zentral und somit zu einer verstärkten kardialen Belastung. Folge ist u.a. ein Anstieg des Herzschlag- und des Herzminutenvolumens. Dies ist bei Herzrhythmusstörungen sowie arterieller Hypertonie zu beachten. Kontraindikationen für ein Voll- und Bewegungsbad stellen eine kardiopulmonale Dekompensation und eine frische Myokardischämie dar. Bei Bewegungsübungen sollte die Wassertemperatur unterhalb der als angenehm empfundenen und reizarmen Indifferenztemperatur von 34–36 °C liegen. Im Bewegungsbad beträgt die Wassertemperatur in der Regel 29–32 °C. Bei rheumatischen oder degenerativen Erkrankungen ist die Temperatur zumeist höher (33–34 °C). Dies wirkt sich u.a. positiv auf die Elastizität der weichteiligen Strukturen aus. Besonders effektiv hervorzuheben ist hierbei das Aquajogging, ein aerobes Ganzkörper-Ausdauertraining, das oben genannte Faktoren in der Summe nutzt. Als Nebeneffekt auch für den Rheumatiker bietet Aquajogging zusätzlich ein sehr effektives Herz-Kreislauf-Training und eine generelle Anregung der Stoffwechselvorgänge im Körper. Durch die leichte Auskühlung im Wasser wird unter anderem auch der Fettstoffwechsel angeregt. Eine Sonderform ist das Aqua-Cycling, das einem Unterwasser-Ergometer-Training entspricht. Übungen im Bewegungsbad sollten den Zeitraum von 30 Minuten nicht überschreiten.

Medizinische Bäder sind Wannenvollbäder, die als Hydro-Thermotherapie ihren Einsatz finden. Die Wassertemperatur liegt mit 36–38 °C überhalb der Indifferenztemperatur. Die Anwendungsdauer liegt zwischen 10–20 Minuten. Der Ausstieg aus dem Wannenbad sollte aufgrund einer potenziellen orthostatischen Dysregulation langsam erfolgen, anschließend eine Nachruhe von 15–30 Minuten. Badezusätze verstärken die Reizwirkung. Bei der Rheumatoiden Arthritis und Ankylosierenden Spondylitis bieten sich Heublumenbäder an. Beim Fibromyalgie-Syndrom können belebende Rosmarinbäder oder bei Einschlafstörungen abendliche Baldrianbäder verordnet werden.

Bei der Psoriasis-Arthritis mit Hautbefall dient im Rahmen einer PUVA-Bad-Photochemotherapie der chemische Wirkstoff 8-Methoxy-Psoralen zur Photosensibilisierung der Haut vor einer UV-A-Lichttherapie [7]. Dies birgt den Vorteil der Umgehung systemischer Nebenwirkungen gegenüber der oralen Applikation des Photosensibilisators. Therapeutisch kommen unter anderem auch Sole- oder Ölbäder bei der Psoriasis vulgaris zum Einsatz.

In der Rheumatologie ist vor allem auch das Kohlensäurebad/CO²-Bad bei der Therapie bei der Systemischen Sklerose (Ssc) indiziert. Die Sklerodermie gehört zu den Kollagenosen und ist eine Autoimmunerkrankung. Eine verstärkte Kollagensynthese durch gesteigerte Fibroblastenaktivität führt zur Verdickung und Verhärtung der Haut. Durch den bindegewebigen Umbau resultieren in der Folge Muskelatrophie, Kontrakturen, Myalgien, Arthralgien und eine deutliche Mobilitäts- und Funktionseinschränkung. Gefürchtet ist ein viszeraler Befall wie eine Lungenfibrose, pulmonale Hypertonie oder Ösophagus-, Gefäß-, Nieren- oder Herzbeteiligung. Typische Gefäßmanifestation der Ssc ist das Raynaud-Syndrom. In Extremfällen kann die Minderdurchblutung der distalen Extremitäten zu akralen Ulzerationen und Nekrosen der Fingerkuppen führen. Beim CO² -Bad wirkt Kohlensäure als gelöstes Gas auf den menschlichen Körper ein. Kohlensäurehaltiges Wasser kommt entweder als natürliches Heilmittel in Quellen vor, kann physikalisch unter Druck normalem Wasser zugesetzt oder in Form einer chemischen Reaktion (Kohlensäureentwickler) chemisch hergestellt werden. Kohlensäure wird über die Haut resorbiert. Die Empfindlichkeit der Thermorezeptoren wird beeinflusst. Durch Hemmung der Kälte- und Erregung der Wärmerezeptoren entsteht ein subjektives Wärmegefühl. Dies hat den Vorteil, dass bereits eine Vollbadtemperatur von 30–33 °C als ca. 2 °C wärmer und angenehm empfunden wird. In der praktischen Anwendung ist ein Kohlensäurebad mit einer niedrigeren Herzkreislaufbelastung verbunden. Die CO² -Resorption bewirkt zusätzlich eine Erweiterung der Hautkapillaren, Viskositätsabnahme des Bluts und Durchblutungsförderung mit verstärkter Hautrötung. Die Körperkerntemperatur sinkt, die Stoffwechselvorgänge verlangsamen sich, die Herzfrequenz und der systolische/diastolische Blutdruck nehmen ab. Bei der Ssc wird eine Badedauer von ca. 20 Minuten, sowie eine Nachruhe von 20–30 Minuten empfohlen. Ein Vollbad sollte 3–4x pro Woche verordnet werden. Teilbäder (z.B. für die Hände bei Raynaud-Syndrom) können hingegen auch 2–3x pro Tag verordnet werden.

Das Wannenbad kann zusätzlich um mechanische Reize in Form einer Unterwasserdruckstrahlmassage erweitert werden. Teilbäder sind hilfreich bei lokalen Maßnahmen und finden häufig auch als Wechselbäder Anwendung, die durch den extremen Temperaturwechsel eine höhere Reizintensität darstellen und bei serieller Anwendung die Adaption und Reaktionslage verbessern. Waschungen sind die schwächsten Reize der Hydro-Thermotherapie und finden deswegen fast ausschließlich beim geriatrischen, mulitmorbiden oder bettlägerigen Rheumatiker Anwendung.

Hydrogalvanische Anwendungen, Voll- oder Teilbäder können zusätzlich mit Elektrotherapie kombiniert werden unter der Verwendung von Gleichstrom (siehe Elektrotherapie).

Elektrotherapie

Hierzu werden alle Verfahren gezählt, die dem Körper elektrische Energie zu therapeutischen Zwecken zuführen. Den unterschiedlichen Formen ist gemeinsam, dass Gleich- oder Wechselstrom den Körper durchfließt. Bei den Wechselströmen werden unterschiedliche Frequenzen eingesetzt. Der menschliche Körper kann Elektrizität nur in seiner Wirkung wahrnehmen, da es keine Sinnesorgane für Elektrizität gibt. Man unterscheidet nach dem Frequenzbereich 4 therapeutisch eingesetzte Stromarten:

konstanter Gleichstrom: Galvanisation

Niederfrequenz: < 1 kHz

Mittelfrequenz: 1–100 kHz

Hochfrequenz: > 100 kHz

Bei den Verfahren im Nieder- und Mittelfrequenzbereich ist der Patient unmittelbar dem elektrischen Strom ausgesetzt. Hochfrequenz- und Ultraschallanwendungen zählen zur Thermotherapie. Elektrischer Strom ist die gerichtete Bewegung freier Ladungsträger in leitfähigen Medien. Die Ladungsträger können negativ geladene Elektronen oder positive oder negativ geladene Ionen sein (Elektrolyte, Leiter 2. Klasse). Strom bewirkt einen Ionentransport in entgegengesetzte Richtung zwischen 2 unterschiedlichen Ladungen. Elektrischer Strom kann nur fließen, wenn leitfähiges Material (Metall, Flüssigkeit, etc.) vorliegt. Der elektrische Reiz nimmt im menschlichen Körper (Leiter 2. Klasse) also Einfluss auf das Ionenmilieu: Gleichzeitige entgegengesetzte Bewegung von Ionen und Kationen. Neben direkten und indirekten analgetischen Effekten können je nach elektrischem Impuls auch an den Membranen peripherer Muskel- und Nervenfasern Aktionspotenziale ausgelöst werden. Dadurch entstehen sensible Empfindungen bzw. Muskelkontraktionen. Ferner werden freie Nervenendigungen gereizt. Durch die bewegliche Komponente des elektrischen Stroms kommt es im Organismus im durchströmten Areal zur Reibungswärme. Gleichstrom und die Nieder- und Mittelfrequenz werden hauptsächlich wegen analgetischer und hyperämisierender Wirkung eingesetzt. Einige Verfahren der Mittelfrequenz weisen zusätzlich eine stärker muskeldetonisierende Eigenschaft auf.

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