Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern

Zur primären Elektroanalgesie werden folgende Verfahren eingesetzt:

Galvanisation

hydroelektrische Bäder

Iontophorese

diadynamische Ströme

Hochvolttherapie

neofaradischer Strom

transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS).

Gleichstromtherapie
(Galvanisation)

Das ist die Behandlung mit Strom konstanter Spannung, Stromrichtung und Stromstärke. Bei geringer Stromstärke hat der Patient sensible Empfindungen wie Kribbeln oder Prickeln, die bei Erhöhung der Stromstärke als Schmerzreiz empfunden werden können. Physiologisch kommt es zu einer Verschiebung des Membranpotenzials der Haut- und Muskelzellen im Sinne einer Depolarisation und Hyperpolarisation.

Durch Reizung vasomotorischer Nervenfasern im Bereich der Haut und Freisetzung vasoaktiver Substanzen (u.a. Histamin, Serotonin) erfolgt eine Hyperämisierung oberflächlicher Schichten mit Ausbildung des typischen Galvanoerythems. Dieses kann über eine Stunde nach dem Anwendungszeitraum anhalten. Im Bereich der Muskulatur erfolgt ebenfalls eine Hyperämisierung und eine Muskelrelaxation.

Die hemmende Wirkung unter der Anode auf die Nozizeptoren führt zu einen analgetischen Effekt und zur Muskeltonussenkung. Unter der Kathode bewirkt die Steigerung der Erregbarkeit der Nerven eine Erhöhung des Muskeltonus. Trophik und Stoffwechselvorgänge werden angeregt. Da es sich hierbei um eine unidirektionale Stromform handelt, besteht ein gerichteter Transport von Ionen, wobei sich die beteiligten Ionen bezüglich ihrer Beweglichkeit unterscheiden, sodass es auf Dauer zu einer Änderung der Ionenkonzentrationen kommt und damit das Mikromilieu der Gewebe beeinflusst wird. Da die einzelnen Gewebearten inhomogen sind, kommt es zu einem Nebeneinander von hyper- und depolarisierenden Gewebeabschnitten. Außer beim Ein- und Ausschalten werden bei den Nerven- und Muskelfasern keine Aktionspotenziale und damit keine Muskelkontraktionen ausgelöst. Deswegen sollte beim Einschalten des Geräts die Stromstärke langsam hochreguliert bzw. beim Ausschalten entsprechend ausgeschlichen werden, damit keine unangenehmen Muskelzuckungen auftreten. Um durch Elektrolyse erhebliche Hautaffektionen wie Nekrosen und Verätzungen zu vermeiden, müssen unbedingt zwischen Elektroden und Haut befeuchtete und ausreichend dicke Viskoseschwämmchen angelegt werden. Die Elektroden können gleich groß sein oder als kleinere (differente) oder größere (indifferente) Elektroden verwendet werden. Unter der kleineren Elektrode ist die Stromdichte und somit der Reizeffekt größer. Der Anwendungszeitraum beträgt 10–20 Minuten in einer seriellen Anwendung von bis zu 10 Terminen.

Kontraindikationen der Gleichstrombehandlung:

Sensibilitätsstörungen im Behandlungsareal, Paresen

akute Entzündungen

Thrombosen

arterielle Durchblutungsstörungen ab Stadium II b

Metallimplantate/Endoprothesen.

Herzschrittmacher

entzündliche Hauterkrankungen

akute fieberhafte Infekte

Demenzkranke Patienten, Kinder

Indikationen der Gleichstrombehandlung:

Arthralgien bei Arthrose und chronischen Arthritiden

schmerzhafte degenerative Wirbelsäulenveränderungen. Spondylarthritiden

Durchblutungsstörungen: pAVK bis Stadium 1/1a

neuropathische Schmerzen, Neuralgien und Neuritiden, CRPS

Bursitiden. Periarthropathien, Myotendinosen und myofasciale Syndrome

Raynaud-Syndrom

Hyperhidrosis

Hydrogalvanische Bäder

Vertreter dieser Hydro-Wärme-Elektro-Therapie sind das Stangerbad, das 2- und 4-Zellen-Bad. Das Wasser liegt als Elektrode dem Körper überall gleichmäßig an, wobei nur ca. 30 % des Stroms den Körper passieren. Hingegen ist bei den Zellenbädern (Teilbäder für Arme und/oder Beine) eine genaue Dosierung des Gleichstroms möglich, da das eingetauchte Körperteil zu nahezu 100 % durchflutet wird. Es können verschiedene Körperdurchströmungen durch Längs-/Quer- und Diagonalschaltungen gewählt werden. Eine absteigende Galvanisation (Anode: kranial, Kathode: kaudal) wirkt beruhigend, eine aufsteigende Galvanisation (Anode: kaudal, Kathode: kranial) erregungssteigernd. Für gewöhnlich kommen Stromstärken von 200–600 mA zum Einsatz. Die Stromstärke wird dem Empfinden des Patienten angepasst. Der Strom sollte auf der Haut kribbeln, aber keine Schmerzen oder Unwohlsein auslösen. Es wird in der Regel die indifferente Wassertemperatur (36–38 °C) gewählt. In der Rheumatologie finden hydrogalvanische Bäder Anwendung, beispielsweise bei den Spondyloarthritiden (Ankylosierende Spondylitis) zur Analgesie und Muskeltonussenkung. Beim Fibromyalgie-Syndrom ist die tonusregulierende Komponente nicht zu vernachlässigen. Zu beachten ist die häufige Angst vor Strom, dessen Ungefährlichkeit zuvor im Arzt-Patienten-Gespräch thematisiert werden sollte. Die Kontraindikationen entsprechen denen der Gleichstrombehandlung und der Hydro- und Wärmetherapie. Akute kardio-vaskuläre Erkrankungen, Herzschrittmacher und Metallimplantate, Infekte und Hautläsionen müssen vor Verordnung abgefragt werden.

Bei der Iontophorese macht man sich die Ionenwanderung des Gleichstroms zunutze. Es erfolgt die transkutane und lokale Einbringung von ionisierbaren Medikamenten. Die Haut muss im intakten Zustand sein. Ein positiv geladenes Medikament kommt immer unter die Anode, ein negatives unter die Kathode. Zur Anwendung kommen in Flüssigkeit gelöste Medikamente in Form von Gels oder Salben. In der Rheumatologie und Orthopädie werden v.a. NSAR-, Salicylsäure-, sowie Heparin- und Hirudin-haltige Salben eingebracht, die zumeist negativ geladen sind und dann unter der positiven Kathode aufzutragen sind. Unter der Anode werden u.a. folgende positiv geladene Medikamente in Salben oder Gelform verwendet: Lidocain, Procain, Histamin (Vasodilatation), Adrenalin (Vasokonstriktion) oder Hyaluronidase, das gewebserweichend und resorptionsfördernd wirkt. Indikationen: Behandelt werden mit der Iontophorese aufgrund der relativ geringen Eindringtiefe oberflächennahe Prozesse wie Epikondylopathien, Ansatztendinosen, Achillodynien, Tendovaginitiden und Arthrosen. Eine Stromstärke von ca. 0,05–0,2 mA/cm² kommt zum Einsatz in serieller Applikation, in der Regel je 15–30 Minuten. Risse, Wunden und entzündliche Veränderungen der Haut müssen bei der Elektrodenposition unbedingt ausgespart werden.

Niederfrequenztherapie

Der Frequenzbereich liegt < 1 kHz. Therapeutisch werden meist Frequenzbereiche zwischen 1–150 Hz verwandt. Bei der Niederfrequenztherapie werden sowohl an Nerven- als auch Muskelfasern Aktionspotenziale ausgelöst, weswegen sie auch als Reizstromtherapie bezeichnet wird. Um eine rasche Depolarisation an der Zellmembran zu erreichen, werden wiederholte rechteck- oder dreieckähnliche elektrische Impulse abgegeben. Dabei muss die Pause zwischen 2 Impulsen länger sein als die Refraktärzeit der Zellmembran (Erholungszeit), sodass sich die Membran nach jedem Impuls wieder aufbauen und auf den nachfolgenden Impuls mit einem erneuten Aktionspotenzial reagieren kann. Dies wird durch sogenannte Impulsströme erreicht, die entweder streng unidirektional oder bidirektional fließen. Bei den bidirektionalen Strömen pendeln die Ionen im Rhythmus des Polwechsels – ohne effektiven Ionentransport – abwechselnd hin und her.

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