Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Physikalische Therapie bei rheumatischen Krankheitsbildern

Sie wird auch Kryotherapie genannt, wenn Temperaturen unter 0 °C eingesetzt werden. Diese umfasst physikalische Therapieverfahren, bei denen dem Körper Wärme entzogen wird. Therapeutisch werden Temperaturen zwischen +15° bis –180 °C verwendet. Die Kältetherapie kann lokal umschrieben sein oder den ganzen Körper betreffen. Zu beachten ist, dass der kurzzeitige Einsatz von Kälte einen anderen Effekt (v.a. Gefäßreaktionen: Konstriktion, reaktive Hyperämie) aufweist als eine längerzeitige Kälteapplikation. Zur Entzündungshemmung und zur Erzielung intramuskulärer Wirkungen sollte Kälte mindestens 20 Minuten appliziert werden. Lokale oberflächliche Kälteapplikation führt zu einem Absinken der Gewebetemperatur, bei längerer Dauer von ca. 20 Minuten bis in eine Tiefe von etwa 2–3 cm. In der Peripherie erfolgt eine 2-phasige Reizantwort, abhängig von der Dauer der Applikation. Als sofortige Reizantwort tritt in den ersten Minuten reflektorisch eine Vasokonstriktion der Haut- und Muskelgefäße ein. Bei längerer Einwirkdauer der Kälte setzt eine „reaktive Hyperämie“ ein. Dieser Thermoregulationsmechanismus stellt ein Schutz vor einem Gewebsschaden durch Erfrierung dar. Durch Verlangsamung der Mikrozirkulation kommt es zu einer Reduktion der Enzymaktivität (z.B. auch knorpelschädigender Kollagenasen) und Stoffwechselvorgänge. Dies betrifft auch die Hemmung der Freisetzung von Entzündungsmediatoren und somit auch inflammatorischer Prozesse rheumatischer Genese. Durch die Vasokonstriktion wird die Ödembildung und Blutungsneigung gehemmt sowie die Gewebeviskosität erhöht. Diese Kälteeffekte werden in der Rheumatologie bei akuter Arthritis und der Behandlung postoperativer Schwellneigungen und entzündlicher Prozesse wirkungsvoll genutzt. Es kommt ferner zu einer Hemmung der Nozizeptoren. Bei einer Hauttemperatur von ca. 15 °C wird Analgesie erreicht. Durch Verringerung der Nervenleitgeschwindigkeit sowie einer Verlangsamung der physiologischen Kenngrößen eines Muskels (Latenz-, Kontraktions- und Erschlaffungszeit) resultiert eine Detonisierung der Muskulatur. Kurze Kaltreize bewirken hingegen zunächst eine Steigerung des Muskeltonus.

Kontraindikationen:

lokale Ischämie, Minderperfusion, trophische Störungen

pAVK

Vaskulitis

Kryoglobulinämie. Kälteagglutininkrankheit. Kälteurtikaria

Raynaud-Syndrom

Infekte der Nieren und Harnwege

Cave bei Sensibilitätsstörungen.

Indikationen der Kältetherapie im rheumatologischen Fachgebiet:

akute Arthritis, Gichtanfall

aktivierte Arthrosen

akute Periarthropathien/Reizzustände, akute Bursitiden, Tendinitiden und Epicondylitiden

postoperativ nach (rheuma)orthopädischen Eingriffen.

Als lokale Applikationsarten werden Eisgranulate, Eisbeutel, Gelpackungen, Eisroller, Kompressen, Peloide, Kältemanschetten oder Kältespray verwendet. Die Hauttemperatur sinkt z.B. bei Auflage eines Eisbeutels innerhalb von 20 Minuten um 5–8 °C. Um die Gefahr lokaler Erfrierungen zu vermeiden, muss ein trockenes Leinen- oder Frotteetuch untergelegt werden. In Spraydosen abgefülltes Flüssiggas, (z.B. Chloräthyl) wird auf die Haut aufgetragen. Es werden Temperaturen von ?25 bis ?55 °C erreicht. Kältesprays wirken stark kühlend über Verdunstungskälte, aber nur kurzfristig. Kältesprays werden zumeist bei akuten Sportverletzungen als Erstmaßnahme und weniger in der Rheumatologie verwendet.

Bei der Ganzkörperkältetherapie (Kältekammer) erfolgt eine Exposition an trockener kalter Luft in Badekleidung unter Akren- und Atemschutz. Zunächst erfolgt eine Kälteadaption in einer Vorkammer (–60 °C). In der Hauptkammer (–110 °C) bewegen sich die Patienten moderat-schnell bis zu maximal 3 Minuten. Bei fehlender Verdampfungskälte werden die Temperaturen nicht ganz so unerträglich eiskalt wahrgenommen. Es kommt zu einer Absenkung der Hauttemperatur um ca. 5 °C, die Körperkerntemperatur bleibt unverändert [11]. Reaktiv kommt es zu einer oberflächlichen reaktiven Hyperämie. Ein analgetischer Effekt kann in der Regel 2–3 Stunden oder länger anhalten. Ferner sind immunmodulatorische und entzündungshemmende Effekte zu registrieren. Bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis und Ankylosierender Spondylitis konnte eine Steigerung der Schmerzschwelle und eine Supprimierung von T-Lymphozyten und der Zytokinsekretion nachgewiesen werden [5]. Auch bei chronifizierten Schmerzsyndromen wird die Kältekammer angewandt, allerdings besteht für das Fibromyalgie-Syndrom gemäß der aktuellen S3-Leitlininen keine Empfehlung.

Hydrotherapie

Die Hydrotherapie ist die methodische äußere Anwendung von Wasser. Balneologie (Bäderkunde) ist die Lehre von der therapeutischen Anwendung natürlicher Heilquellen, Heilgase und Peloide in Form von Bädern, Trinkkuren und Inhalationen. Die Grenzen zwischen Hydro-, Balneo- und Thermotherapie sind fließend.

Formen der Hydrotherapie:

Bewegungstherapie im Wasser (Bewegungsbad)

Bäder: Wannenvollbad. Teilbäder

hydrogalvanisches Bad: Stangerbad, 2– oder 4-Zellenbad

Güsse. Kneipptherapie

Unterwasserdruckstrahlmassage

Waschungen

Dampfbäder

Kontraindikationen für das Bewegungsbad/Hydrotherapie:

kardiale oder respiratorische Insuffizenz

instabile Angina pectoris. Herzinsuffizienz NYHA III und IV

unzureichend eingestellte(r)
Epilepsie / Arterieller Hypertonus

pAVK Stadium IIIb oder IV

frische Bein- und Beckenvenenthrombosen (< 4 Wochen)

fieberhafte Infekte

nässende oder offenen Wunden, noch nicht abgeschlossene Narbenheilung, Chlorallergie, diverse Hauterkrankungen.

Harn-/Stuhlinkontinenz, Menstruation

In der Medizin haben der therapeutische Einsatz und die Heilwirkung von Wasser und Bädern eine lange Tradition, die von der Antike (Thermen) über das Mittelalter (Badestuben) bis in die Neuzeit (Kneipp, moderne Rehabilitation) reicht. Wasser kann in 3 Aggregatzuständen vorliegen: Eis, Flüssigkeit, Gas. In der Hydrotherapie dient Wasser als Träger und Vermittler physikalischer (mechanischer, chemischer, elektrischer und thermischer) Reize. Hauptsächlich folgende physikalische Eigenschaften sind hervorzuheben: Auftrieb, hydrostatischer Druck, Reibungswiderstand und hydrodynamische Wirkungen. Das Element Wasser besitzt zudem eine hohe spezifische Wärmekapazität.

Auftrieb: Nach dem Archimedes-Prinzip reduziert sich das Gewicht des Körpers um das Gewicht des von ihm verdrängten Wassers. Im Falle des Menschen würde dies bedeuten, dass das Körpergewicht beim Eintauchen bis zum Hals nur noch gut 10 % beträgt. Der mechanische Auftrieb kann durch Dichteveränderung des Wassers durch Zusätze (z.B. beim Solebad) oder durch Hilfsmittel wie Schwimmgurte verstärkt werden. Chronisch-afferente Impulse aus der Haut werden gehemmt. Reflektorisch kommt es zu einer Detonisierung der Muskulatur. Zusammen mit der geringeren Gewichtsbelastung resultiert eine verbesserte Ausgangslage für physiotherapeutische Übungen bei Gelenkentlastung und Zunahme der Gelenkmobilität sowie in der Folge eine Schmerzreduktion. Bei Bewegungsübungen kommt zudem der Wasserwiderstand zum Tragen. Der Reibungswiderstand wird therapeutisch zur Kräftigung der Muskelkraft genutzt.

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