Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015

Osteoporose im Kontext von Ernährungsfaktoren
Integrale Primär- und holistische Sekundärprävention – Kompensation von systemisch inflammatorischen Prozessen und oxidativem StressIntegrative primary- and holistic secondary-prevention – compensation of systemic inflammatory processes and of oxidative

Werner Seebauer1

Zusammenfassung: Oxidativer Stress, Glykolisierungsprozesse, Enzymreaktionen und insgesamt Transkriptionsfaktoren spielen eine Rolle beim Knochenmetabolismus, womit viele pathogenetische Faktoren der Osteoporose nicht alleine für dieses Erkrankungsbild pathognomonisch sind. Inflammatorische Prozesse, wie z.B. bei der Osteoarthritis, sind häufig systemisch und nicht alleine organbezogen relevant. Man kann sagen, dass nahezu bei allen chronischen degenerativen Erkrankungen Entzündungen ursächlich oder zumindest in der Symptomausprägung beteiligt sind. Auch bei der Osteoporose spielen Glykolisierungsprozesse an Zellstrukturen der Knochen mit der Entstehung von Advanced Glycation End Produkts (AGEs) eine pathogenetische Rolle. Die Akkumulation solcher endogen entstandenen und exogen aus der Nahrung zugeführten AGEs wirkt lokal bei der Degeneration mit und hat über diverse Cross-Links zu systemisch wirkenden Faktoren, wie z.B. dem Nuklear-Factor kappa B (NFkB) und der abnormen Expression von Enzymen (z.B. Cyclooxigenase-2 COX-2) sowie proinflammatorischen Cytokinen (z.B. IL1, IL-6) wesentlich weitreichendere Auswirkungen. Zusammen mit dem oxidativen Stress kann sich eine Kaskade von krankheitsfördernden Reaktionen sogar in Form eines Circulus vitiosus entwickeln und auch Alterungsprozesse werden beschleunigt. Insofern ist die Osteoporose wie die Osteoarthritis im größeren Kontext von systemischer Pathophysiologie zu sehen, wie insgesamt alle chronischen Erkrankungen stets eine mehr integrale Primärprävention oder bei der Sekundärprävention eine holistische Intervention bedürfen. Das beinhaltet komplementär immer die Anpassung der Ernährung und bei Bedarf die adäquate Supplementation von Nährstoffen (insbesondere auch Phytochemicals). In diesem Beitrag wird zu dem sehr komplexen Thema jeweils ein Einblick zu wichtigen Punkten gegeben.

Schlüsselwörter: Osteoporose, Osteoarthritis, Knochenmetabolismus, oxidativer Stress, Glykolysierungsprozesse, Advanced
Glycation End Produkts (AGEs); chronische Inflammationen,
Homocysteinämie, Alterungsprozesse, sekundäre Pflanzenstoffe (Phytochemicals), Phytoöstrogene, Calcium, Vitamin D

Zitierweise
Seebauer W. Osteoporose im Kontext von Ernährungsfaktoren.
OUP 2015; 11: 509–521 DOI 10.3238/oup.2015.0509–0521

Abstract: In osteoporosis glycation processes with the formation of Advanced Glycation End Products (AGEs) are playing a pathogenetic role to cell structures of the bone (AGEs affects the mechanical properties of tissue – disturbs bone remodeling and raises degeneration). This has far-reaching impacts and can develop together with the oxidative stress a cascade of disease-promoting reactions even possible as vicious circle. In this respect, osteoporosis should be seen in a larger context of systemic pathophysiology same as various processes in the pathology of osteoarthritis. Chronic diseases always require integral primary prevention or in case of secondary prevention a holistic intervention. This complementarily includes the adjustment of the diet and the adequate supplementation of nutrients if necessary.

More attention in particular should get the phytochemicals (phytochemicals) in the diversity of their natural matrix. They play very important roles in the reduction of oxidative stress and of increased inflammation as well for the compensation of many other risks (anticarcinogenic, antithrombotic, anti-atherogenic, etc.). The focus of the article is devoted to the influence of nutrition with issues in the context of systemic inflammatory and metabolic factors affecting bone metabolism (with importance also for osteoporosis). In this paper should give an insight to important points of the very complex issues.

Keywords: osteoporosis, osteoarthritis, bone metabolism, chronic inflammations, oxidative stress, processes of glycation, advanced glycation end product (AGEs); homocysteinemia, aging, primary phytonutrients (phytochemicals), phytoestrogens, calcium, vitamin D

Citation
Seebauer W. Osteoporosis in the context of nutritional factors.
OUP 2015; 11: 509–521 DOI 10.3238/oup.2015.0509–0521

Vitamin D

Die Rolle von Vitamin D (Colecalciferol) als Prohormon wird an dieser Stelle nur noch marginal behandelt, da sie hinreichend bekannt ist und ohnehin bei der Thematik Ernährung im Hintergrund steht. Nur ca. 10–20 % des Vitamin D werden üblicherweise über die Ernährung zugeführt (DGE Schätzwerte); bei sehr hohem Fischverzehr kann dies zwar deutlich mehr sein, doch das entspricht nicht den Verzehrgewohnheiten der Bevölkerung. Somit sind die Vitamin-D-Versorgung durch den Sonnenkontakt auf der Haut und die dadurch induzierte endogene Produktion entscheidend. Vitamin D wirkt sich viel mehr als nur über die Funktionen beim Calcium- und Phosphatstoffwechsel auf die Gesundheit aus, an dieser Stelle wird jedoch nur die Thematik der Osteoporose behandelt.

Die International Osteoporosis Foundation (IOF) empfiehlt in ihrem Positionspapier 2010 als Ziel für Senioren ab dem 60. Lebensjahr einen Serumschwellenwert für Vitamin D von ? 75 nmol/l (meist 800–1000 IE/Tag; entsprechen 20–25µg/Tag) für eine optimale Frakturprophylaxe [1]. Die DGE gibt nach epidemiologischen Auswertungen in Ihrer Stellungnahme von 2011 für Männer und Frauen ohne ausreichende endogene Vitamin-D-Synthese 20 µg/Tag (800 IE/d) als angemessen an [2]. Basierend auf Daten aus doppeltblind randomisierten Studien resümieren Bischoff-Ferrari und andere Experten bei nichtverebralen Frakturen (n = 42.279), dass die optimalen Serumwerte zwischen 75–110 nmol/l (30–44 ng/ml) den größten Benefit hinsichtlich der Fraktur-Prävention zeigten (sowie auch hinsichtlich der Herzkreislauf-Gesundheit und der Prävention gegenüber Kolon-Rektal-Krebs). Dafür seien orale Supplementationsdosen zwischen 1800–4000–IE Vitamin D täglich notwendig. Weitere Studien zu Umweltfaktoren und mit größeren Kohorten müssten allerdings durchgeführt werden, um die Dosen für das Erreichen dieser Serumwerte besser definieren zu können [3].

Nur über eine nähere Ernährungsanalyse (z.B. Wochenprotokoll) und die Analyse des Sonnenkontakts auf der Haut kann man die Vitamin-D-Versorgung besser abschätzen. Letztendlich gibt die Blutserumbestimmung eine verlässliche Orientierung, die auch weitere Regulationsmechanismen zur den aktiven Formen (Calcitriol) beurteilen lassen. Zur Steuerung der komplementären Gabe von Vitamin D zu Therapiezwecken sollten die Serumwerte zu verschiedenen Jahreszeiten bestimmt werden.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10